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Nachruf_Zum Tod von Dr. Günter Andres, Architekt BDA

20. Januar 2018

* 5. Februar 1938 – 12. Dezember 2017

Unser an Fläche und an Architekten vergleichsweise kleines Bundesland, der Freistaat Thüringen, gehört – so gerne wir dies auch anders hätten – gewiss nicht zu den Epizentren der Architektur in der Bundesrepublik Deutschland. Dies gilt vermutlich insbesondere auch in Bezug auf die Zahl der Architektenpersönlichkeiten, die – und ich blicke hier nur auf die Jahre seit 1989 – über die Grenzen Thüringens, über den mitteldeutschen Raum hinaus als Vorkämpfer und Wortführer für den Beruf des Freien Architekten und die zu seiner erfolgreichen Ausübung erforderlichen Rahmenbedingungen Bekanntheit erlangt haben.  Selbstverständlich – liebe Kollegen – es gibt sie, die herausragenden Projekte, und es gibt Euch, die hervorstechenden Persönlichkeiten. Aber mit dem Tode unseres Gründungsmitgliedes und Kollegen Dr. Günter Andres am 12. Dezember 2017 ist ohne jeden Zweifel und zu unserem großen Bedauern einer der Wegbereiter unserer Selbstverwaltungsstrukturen kurz vor Vollendung seines 80. Lebensjahres von uns gegangen, ist einer der bis ins hohe Alter stets und immer wieder aktiven Vulkane unseres Berufsstandes für immer erloschen.

Geboren wurde Günher Andres am 5. Februar 1938 in Berlin. Nach Abitur und sechsjährigem Studium an der damaligen Technischen Hochschule in Dresden begann sein beruflicher Lebensweg im Jahr 1962 als Bauleiter beim Kreisbaubetrieb im thüringischen Heiligenstadt, von wo aus er jedoch bereits 1963, nach einem Jahr im Eichsfeld, als Architekt zum VEB Hochbauprojektierung in die damalige Bezirkshauptstadt Erfurt wechselte. Das bereits 742 erstmals urkundlich erwähnte und bis heute von seinen mittelalterlichen Strukturen geprägte Erfurt muss Günther Andres gefallen haben, denn der damals 25-jährige ist seiner Wahlheimat von da an Zeit seiner Lebens treu geblieben.

Als offensichtlich ebenso talentierter wie zielstrebiger Architekt gelang Günther Andres bereits in den Zeiten der deutschen Teilung eine bemerkenswerte Karriere. Neben seinem beruflichen Aufstieg im VEB Wohnungsbaukombinat Erfurt vom Projektverantwortlichen zum Atelierleiter promovierte er im Jahr 1970 an der Hochschule für Architektur und Bauwesen im benachbarten Weimar zum Dr.-Ing. des Fachbereiches Wohn-und Gesellschaftsbau. Zudem wurde er im Jahr 1972 zum Vorsitzenden seiner Betriebsgruppe im Bund der Architekten der DDR (BdA/DDR) ernannt und bekleidete in den Folgejahren weitere Positionen bis hin zur Mitgliedschaft in der zentralen Kommission des BdA der DDR.

Gemeinsam mit Anderen zeichnete er verantwortlich für große Wohnbauprojekte im Norden der Bezirkshauptstadt Erfurt, aber auch im benachbarten Gotha und im fernen Schwedt. Das Wohngebiet „Johannesplatz“, geplant für ca. 10.000 Einwohner, sowie die Wohnkomplexe „Nordhäuser Straße“ und „Roter Berg“, allesamt im Erfurter Norden gelegen, gehören bis heute – wenn nun auch teilweise unter veränderten Vorzeichen – zu den stadtbildprägenden DDR-Neubauvorhaben im Erfurt der 1960er bis 1980er Jahre. Ausgezeichnet unter anderem mit dem Nationalpreis (III. Klasse) für Kunst und Literatur der DDR (1974), dem Architekturpreis des Bezirkes Erfurt und der Schinkelmedaille in Bronze und Silber (1979), hat Günther Andres, so scheint es zumindest im Rückblick, seinen 50.sten Geburtstag im Februar 1988 vermutlich ohne Sorge um eine weiterhin erfolgreiche Berufsausübung feiern können. Doch dann geschah das Unvorstellbare. Die DDR strauchelte und – ich glaube, das galt ab sofort – die plötzliche Wiedervereinigung Deutschlands veränderte alles. Zumindest für die Menschen im Osten Deutschlands.

Ich glaube, man kann das, was damals geschah, und die unglaublichen Herausforderungen, vor die es insbesondere die Architekten-Generation von Günther Andres und seinesgleichen gestellt hat, nicht besser ausdrücken, als der damalige Präsident des BDA, Andreas Gottlieb Hempel, dies in einer Festschrift anlässlich des 60.sten Geburtstages von Günther Andres ein Jahrzehnt später getan hat; „Mit 52 Jahren – ein Jahr nach der Wende – machte sich Günter Andres als Architekt selbstständig. Nicht daß er nicht vorher schon als Atelierleiter im Rahmen des Gesellschaftssystems der DDR selbstständig gearbeitet hätte – diese Selbstständigkeit hatte jedoch, wie wir alle wissen, für den Architekten als Hochseilartist unter der Zirkuskuppel noch ein Netz. Doch ganz anders danach: ohne Netz auf noch straffer gespanntem Seil galt es noch einmal neue Techniken des Gleichgewichtes zu lernen,  wenn man ohne abzustürzen das Ziel erreichen wollte. Die neue Selbstständigkeit ist also viel aufregender und risikoreicher. Sie musste nicht nur aus dem Stand erkämpft werden, sondern erforderte auch einen völligen Neubeginn in vielen Tätigkeitsbereichen, die den gleichzeitig als Konkurrenten auftretenden Kollegen aus dem Westen ganz selbstverständlich geläufig waren. […] Und dies alles in einem Lebensalter, in dem erfolgreiche Westarchitekten bereits viel Geld verdient und ihren Ruf gefestigt hatten.

In den zehn Jahren zwischen 1989 und 1998 hat Günter Andres nicht nur – wie viele seiner Architekten-Kollegen in der ehemaligen DDR – diese Herausforderung gemeistert und sein eigenes Architekturbüro – natürlich in Erfurt – gegründet. Er hat darüber hinaus – und dies macht ihn zu einer wirklich herausragenden Persönlichkeit dieser Zeit – mit Mut, Spürsinn und Beharrlichkeit maßgeblich am Entstehen der Architektenkammer und des BDA im neugegründeten Freistaat Thüringen mitgewirkt sowie als erster Präsident der Architektenkammer Thüringen ab 1991 deren Interessen auf allen Ebenen vertreten. Hierzu sei ein zweites Zitat aus der bereits genannten Festschrift, dieses Mal von Peter Erler, von 1996 bis 1999 Präsidenten der Bundesarchitektenkammer, gestattet; „Der Eintritt der ostdeutschen Präsidentenkollegen als Vertreter der Architektenkammern der neuen Länder in den Bundesvorstand […] war für alle das sichtbare Zeichen, daß unser aller Selbstverständnis ein Ende gefunden hatte. Es ist nicht so, daß ich die bis dato erfolgreiche Arbeit der BAK bewerten möchte, sondern den bis dahin prägenden Zeitgeist in der alten Bundesrepublik, der von immer neuen Wohlstandszuwächsen geprägt war. Mit Ihnen, Dr. Andres, kam eine Persönlichkeit in den Bundesvorstand, welche die Botschaften des Wandels deutlich artikulierte und weiterhin artikuliert. Sie sind eine Persönlichkeit, die wie Architekten generell charakteristischerweise von größerer Individualität geprägt zu sein scheinen, als durchschnittliche Zeitgenossen. Individualität in einer Qualität und einem Ausmaß, das von einigen gelegentlich als unbequem wahrgenommen wird. […] Sie sind harter Streiter und Disputant. Ihre Unbequemlichkeit ist der Preis Ihrer Leidenschaft. In diesem Sinne sind wir unbequem, aber Überzeugungs-Streiter zum Wohle unserer Bauherren und einer bewohnbaren Umwelt.“

Wir verdanken es der Erinnerung von Hilmar Ziegenrücker, Philipp Budszuhn und Thomas Erfurt, allesamt Weggefährten von Günther Andres in den Zeiten „vor und nach der Wende“ und bis heute aktive  Mitglieder im BDA Landesverband Thüringen, dass ich an dieser Stelle einen vertiefenden Blick auf das berufspolitische Engagement und Wirken von Günther Andres in jeden Jahren werfen kann;

Dieser Rückblick beginnt irgendwann im Sommer 1989, als Günter Andres in einem offenen Brief an den Vorstand des BdA der DDR dessen (Selbst)Auflösung fordert, um den Weg „freizumachen für Neues“. Ein Aufruf, der (zunächst noch) ungehört blieb. Er streift die Mitarbeit von Günther Andres im „Neuen Forum“ im Herbst 1989, sein Engagement für den Erhalt der (massiv von Verfall und Abriss bedrohten) Erfurter Altstadt und eine zu diesem Thema erarbeitete Ausstellung in der Erfurter Michaeliskirche. Und er erinnert erste, auf Eigeninitiative beider Seiten beruhende Treffen mit Architektenkollegen in Kassel und Berlin (West) zu Beginn des Jahres 1990. Treffen, für die man sich im heimischen VEB Urlaub nehmen und in den Zielorten bescheidene, aus der eigenen Tasche zu bezahlende Unterkünfte suchen musste. Er identifiziert eine Zusammenkunft mit Vertretern der Architektenkammer Hessen und Rheinland-Pfalz im Erfurter Waidspeicher am 24.03.1990 als einen der Meilensteine jener Jahre. Ein Abend, an dem die Vision von einem Freistaat Thüringen mit einer eigenen und einheitlichen Architektenkammer diskutiert wurde, obwohl und während die staatlichen Verwaltungsstrukturen noch drei eigenständige Bezirke – Erfurt, Gera, Suhl – unterschieden. An eben jenem Abend, so die Erinnerung der Kollegen, hat sich Günther Andres als Verfechter einer aus den eigenen Reihen und aus eigener Kraft gestalteten Selbstverwaltung des Berufsstandes als Alternative zur „Kammer von oben“ profiliert und im Kreise der Anwesenden für höhere Aufgaben empfohlen. Aufgaben, die ihm nur wenig später, zunächst mit der Entsendung zu den Sitzungen der Bundesarchitektenkammer, dann im Dezember 1990 als eines von sieben Gründungsmitgliedern des BDA Thüringen und schließlich am 27.04.1991 mit der Wahl zum ersten Präsidenten der am gleichen Tage gegründeten Architektenkammer Thüringen auch tatsächlich übertragen wurden.

Günter Andres hat in den Jahren seiner Kammerpräsidentschaft neben, nein, eigentlich vor der Arbeit am eigenen Werk, viel, unvorstellbar viel für unseren Berufsstand geleistet. Der bereits zitierte Andreas Gottlieb Hempel hat ihm diesbezüglich einmal „übermenschliche oder überarchitektonische Energien, hinter denen ein großes Verantwortungsgefühl für den Berufsstand und die Baukultur stehen“ attestiert. Ich kann mich dieser Einschätzung nur anschließen, verneige mich vor der Lebensleistung des Kollegen Dr. Günther Andres und hoffe darauf, dass nicht zuletzt dieser Nachruf dazu beitragen möge, die Erinnerung an seine Verdienste für unseren Berufsstand wach zu halten und Andere dazu ermuntert, seinem Beispiel zu folgen!

Andreas Reich,

Landesvorsitzender BDA Thüringen

Dr. Günther Andres, Architekt BDA
19.11.17 Skizze Rennsteigkurklinik Dr. Günter Andres